Von Gesundheitspolitik bis Energiewende: Klausur der Landrätinnen und Landräte

Zwei Tage diskutierten die niedersächsischen Landrätinnen und Landräte im Rahmen ihrer diesjährigen Klausurtagung in Bücken, Landkreis Nienburg (Weser), die aktuellen Herausforderungen des ländlichen Raumes mit Politik und Wissenschaft. Als Gesprächspartnerinnen und -partner standen gleich drei Mitglieder der Niedersächsischen Landesregierung Rede und Antwort.

Die Gesundheitspolitik stand im Mittelpunkt des Austausches mit Gesundheits- und Sozialminister Dr. Andreas Philippi. Eindringlich vertieften die Hauptverwaltungsbeamtinnen und -beamten ihre im zuvor überreichten „Nienburger Notruf“ verbriefte Sorge um eine qualitätsvolle Krankenhausversorgung in der Fläche. Keineswegs seien nur leistungsschwache Krankenhäuser in einer finanziellen Notlage. Zudem gefährdeten die im Juli konsentierten Eckpunkte zwischen Bund und Ländern die Umsetzung der politisch und fachlich einvernehmlich in Niedersachsen erzielten Ergebnisse der Enquetekommission des Landtags aus dem Jahr 2021. Heftig kritisiert wurde das Vorgehen des Bundes, über die Hintertür des sogenannten Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetzes Fakten zu Lasten der Länder und Kommunen zu schaffen, bevor überhaupt ein Gesetzentwurf zur Krankenhausreform auf dem Tisch liege. „Das Vorgehen des Bundes ist unverantwortlich und führt zu einem ungesteuerten Kliniksterben. Wir appellieren an Bundesminister Lauterbach und Minister Philippi, durch eine finanzielle Soforthilfe und ein geordnetes Reformverfahren die Voraussetzungen für eine Krankenhausreform zu schaffen, die die Planungshoheit der Länder respektiert und eine flächendeckend hochwertige Versorgung in der Stadt und auf dem Land sicherstellt,“ fasste der Präsident des Niedersächsischen Landkreistages (NLT) Landrat Sven Ambrosy die Erwartungen zusammen.

Einen zweiten Schwerpunkt bildeten die beabsichtigten Strukturveränderungen im SGB II für unter 25-Jährige Personen. Minister Philippi und die Verwaltungsspitzen der niedersächsischen Landkreise waren sich einig in der konsequenten Ablehnung dieses Vorhabens. „Es handelt sich nicht um Einsparungen, sondern um die Verschiebung von Finanzlasten von einer Tasche in die andere, die teuer bezahlt werden müssen. Sozialpolitisch ist es nicht zu verantworten, die über Jahrzehnte sorgsam aufgebauten und gut funktionierenden Präventionsketten für die jungen Menschen in einem sensiblen Lebensabschnitt zu zerstören. Wir appellieren an die niedersächsischen Bundestagsabgeordneten, sich über die Auswirkungen vor Ort zu informieren und diesen völlig falschen Weg nicht mitzugehen,“ forderte Ambrosy.

Energiewende, ökologische Transformation und lokaler Zusammenhalt waren Themen des Impulsvortrags von Prof. Dr. Berthold Vogel, Geschäftsführender Direktor des Soziologischen Forschungsinstituts an der Universität Göttingen. Es gelte, Energiewende und Klimapolitik vom Zusammenhalt der ländlichen Räume her zu denken, forderte Vogel. Wer erfolgreiche Umwelt-, Artenschutz- und Klimapolitik machen wolle, dessen Orientierungspunkte müssten Gerechtigkeit, Gemeinwohl und Gleichwertigkeit sein. Klimagerechtigkeit und Energiewende gebe es nicht ohne soziale Gerechtigkeit. Insbesondere brauchten Klimawandel und Energiewende gleichwertige Lebensverhältnisse in Stadt und Land.

Mit diesen Thesen stieß Vogel auf breite Zustimmung bei den Landrätinnen und Landräten. „Niedersachsen ist Vorreiter beim Ausbau neuer Energien, insbesondere bei der Wind- aber auch der Solarenergie. Die ökologische Transformation bietet Chancen für den ländlichen Raum, bringt aber auch große Belastungen. Die notwendige neue Infrastruktur greift unmittelbar in kommunale Räume und ihre Entwicklungsmöglichkeiten ein. Die von uns unterstützte Energiewende wird nur gelingen, wenn die Bürgerinnen und Bürger im Norden der Bundesrepublik nicht nur deren Lasten zu tragen haben, sondern auch unmittelbar davon profitieren. Die notwendige politische Diskussion darüber beginnt erst und muss weiter vorangetrieben werden,“ forderte NLT-Geschäftsführer Joachim Schwind.

Die Entwicklung des ländlichen Raumes stand auch im Mittelpunkt des Gesprächs mit Landwirtschaftsministerin Miriam Staudte. Sie ist in der Landesregierung für die Regionalplanung zuständig, die die Landkreise im eigenen Wirkungskreis verantworten. Die größte Herausforderung bildet derzeit die Umsetzung der Flächenvorgaben für den Ausbau der Windenergie. Ein gewichtiges Thema der Entwicklung des ländlichen Raumes ist aber auch der anstehende Transformationsprozess zum Moor. „Beim Ausbau der Windenergie brauchen wir Planungssicherheit und nicht Änderungen des Bundes- und Landesrechts im Monatstakt. Hier erleben wir das Landwirtschaftsministerium als verlässlichen Partner an der Seite der Landkreise. Hinsichtlich der künftigen Entwicklung der vielfältigen Moorlandschaften in Niedersachsen brauchen wir dagegen dringend Klarheit, wohin die Reise gehen soll. Bekenntnisse zum verbesserten Moorschutz genügen angesichts der unterschiedlichen Probleme nicht,“ stellte NLT-Hauptgeschäftsführer Hubert Meyer fest.

Eindringlich forderten die Landrätinnen und Landräte eine Verbesserung der Finanzausstattung der kommunalen Veterinärbehörden ein. „Die Landkreise subventionieren diese Landesaufgabe nunmehr mit über 30 Millionen Euro im Jahr. Wenn wir das bisherige hohe Niveau des Verbraucherschutzes aufrechterhalten wollen, müssen Landesregierung und Landtag nicht nur in neue Gebäude und Labore beim Dienstleister Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit investieren, sondern auch die Arbeit vor Ort stärken, wo Lebensmittelsicherheit und Tierschutz täglich in den Betrieben überwacht werden müssen,“ machte Meyer deutlich.

Den Abschluss der zweitägigen Veranstaltung bildete der Austausch mit Finanzminister Gerald Heere. Auch hier ging es zunächst um die Krankenhäuser, das Land ist für die Investitionen verantwortlich. Die Landrätinnen und Landräte begrüßten zwar die verstärkten Bemühungen der Landesregierung in diesem Bereich, sahen aber noch erheblichen Diskussionsbedarf, wie der inzwischen auf drei Milliarden Euro angewachsene Investitionsstau abgetragen werden soll. „Wenn die Landesregierung nach der Haushaltsklausur Investitionszusagen für Krankenhäuser ab 2024 in Milliardenhöhe abgibt, aber jährlich nur 305 Millionen Euro auszahlt, müssen die Landkreise vorfinanzieren. Zudem werden die tatsächlichen Zahlungen des Landes zu 40 Prozent von der Solidargemeinschaft der Landkreise getragen. Andere politische Themen genießen größere finanzielle Aufmerksamkeit“, kritisierte NLT-Vizepräsident Landrat Cord Bockhop.

Nachdrücklich forderten die Verwaltungschefinnen und -chefs der Landkreise vom Finanzminister die Einhaltung des sogenannten Konnexitätsprinzips ein, wonach das Land die Kosten für zusätzliche Pflichtaufgaben der Kommunen zu tragen hat. In Niedersachsen hat eine Umfrage der kommunalen Spitzenverbände ergeben, dass allein durch Aufgabenveränderungen im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe, des Betreuungswesens und des Wohngeldes im Jahr 2024 ein Aufwuchs von 500 Stellen notwendig ist, was zu Mehrausgaben von 50 Millionen Euro im Jahr führt. „Wir erwarten eine qualifizierte politische Antwort für das von uns schon mehrfach benannte Problem, andernfalls müssen wir andere Wege prüfen, dem geltenden Verfassungsrecht Wirksamkeit zu verschaffen,“ fasste Bockhop die Stimmung zusammen.