NLT-Aktuell – Ausgabe 1
Landeskirche Hannovers muss sparen und setztkünftig stärker auf Kinder‑ und Jugendarbeit
Die Botschaft des Finanzchefs der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers war deutlich: In den kommenden zehn Jahren wird die größte Glaubensgemeinschaft in Niedersachsen mindestens 30 Prozent ihrer Ausgaben streichen müssen. Spätestens beim nächsten Doppelhaushalt,den die Landeskirche für die Jahre 2027/28 beschließen wird, sollen die Einschnitte spürbar werden und der lang erwartete „Sinkug“ einsetzen. Lange konnten unangenehme Entscheidungen inden kirchenleitenden Gremien aufgeschoben werden, doch allmählich wächst der Druck: Prioritäten müssen gesetzt werden. Nachdem der erste Anlauf für einen sogenannten „Zukunftsprozess“der Landeskirche im vorvergangenen Jahr eingestampft werden musste, hat sich das Kirchenparlament inzwischen auf ein neues Verfahren verständigt. Die Start-up-Mentalität des alten Prozesses musste einem strukturierteren Verfahren unter Einbeziehung verschiedener Ausschüsse weichen, man erschuf sogar extra ein neues Gremium für die strategische Finanzplanung. Auf derjüngsten Tagung der Landessynode wurden nun die ersten Schwerpunkte, an denen sich die Ausgabenpolitik der Kirche künftig orientieren soll, vorgestellt. Über allem steht dabei die Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt und der Schutz vor neuen Übergrien. Denn ohne dieseMaßnahmen verspiele die Kirche jegliche Glaubwürdigkeit, ist man sich einig. Losgelöst davon sollen nun zunächst vorrangig all jene Maßnahmen unterstützt werden, die den „Anfängen des Glaubens“ nützen ‑ also den Grundstein für die Kirchenzugehörigkeit legen. Was im ersten Momentrecht vage klingt, soll nach Auskunft der Verantwortlichen einen Fokus auf die Kinder- und Jugendarbeit der Kirchen setzen. In diesem Bereich soll es künftig keine Kürzungen geben, heißt es.Obwohl darüber weitgehend Einigkeit besteht, weichten manche Synodale die Bedeutung des ersten Schwerpunktes allerdings bereits auf, indem sie ihn ausweiteten auf all jene Programme undAnsätze, die Menschen an den Glauben heranführen können. Wendet man den Punkt so, könnte ersich ebenso auch auf die Seniorenarbeit beziehen.
Wenig präzise erscheint zunächst auch der zweiteSchwerpunkt, der mit „Seele stärken“ überschriebenwird. Seelsorge als Kernaufgabe der Kirchen kannebenfalls recht weiträumig ausgelegt werden. RalphCharbonnier, geistlicher Vizepräsident des Landeskirchenamts in Hannover, beschrieb den zweiten Schwerpunkt im Kontrast zum ersten als die Antwort auf dieFrage, wozu die Kirche da sei. Die Frage nach dem„Wie“ soll dieser Logik folgend der dritte Schwerpunktbeantworten, der sich mit der Sozialraumorientierung der Kirche befassen soll. Gemeint ist damit,dass die Kirche auf ihre Anschlussfähigkeit in einer zunehmend säkulareren Gesellschaft achtenmöchte. Es gehe darum, zu hören, was denn der Wille und die Interessen sowie der Bedarf derMehrheitsgesellschaft seien, sagte Charbonnier. „Wenn wir die Anschlussfähigkeit nicht ernst nehmen und auf die verschiedenen Einrichtungen und Ebenen der Landeskirche anwenden, gehen wiran der Kernherausforderung der Kirche vorbei“, sagte Regionalbischön Adelheid Ruck-Schröderaus dem Sprengel Hildesheim-Göttingen. Den vierten Schwerpunkt der künftigen Arbeit der Landeskirche soll schließlich ein recht eindeutiges Thema setzen: Klimaschutz und Gebäudemanagement. Dazu zählen die Aufgaben, den Gebäudebestand zum einen zu verringern und zum anderendie verbliebenen Häuser und Sakralbauten energetisch zu sanieren. Tatsächlich schmerzhafte Kürzungsdiskussionen konnte die Landeskirche allerdings noch einmal aufschieben. Mit den nun vorgelegten Schwerpunkten will die Kirchenleitung aus Hannover nun in den Dialog mit den Kirchenkreisen vor Ort gehen. Erst in einem Jahr soll die Landessynode abschließend besiegeln, wie dieSchwerpunktsetzung für das bevorstehende Jahrzehnt aussehen soll. Einzelne Synodale riefen allerdings jetzt schon dazu auf, sich selbst zu prüfen: Passt ein Vorhaben tatsächlich zu den formulierten Schwerpunkten oder versucht man bloß, das eigene Herzensprojekt zu retten? Charbonnier erklärte im Rundblick-Gespräch, komplette Betätigungsfelder der Kirche würden nicht gestrichen, aber jede Maßnahme darin einer inhaltlichen Überprüfung anhand der neuen Schwerpunkteunterzogen.
„Es gibt keine zweite zivilgesellschaftliche Institution, die einesolche Staatsanalogie betreibt.“
Landesbischof Ralf Meister drückte in seinem Bischofsbericht hinsichtlich des neuen Zukunftsprozesses seiner Kirche eine große Gelassenheit aus. Anders als Wirtschaftsunternehmen stehedie Kirche nicht vor der Aufgabe, einen „Purpose“ ‑ also einen Sinn ‑ nachträglich ernden zu müssen. „Wir ernden nicht den Glauben, sondern starten aus einer honungsvollen Perspektive“,sagte der Geistliche. „Wir überlegen, wie mit weniger Mitteln diese vitale Gründungsgeschichteglaubwürdig weitererzählt wird. Wir drehen die Perspektive und versuchen, von der Seite derMenschen in unserem Land auf unsere Kirche zu sehen.“ Noch bende sich die Kirche aber nichtan dem Punkt, an dem es Reibereien gebe. Zunächst müssten die Punkte aufgerufen und kritischdiskutiert werden ‑ dazu erkenne er eine große Bereitschaft. Einen Punkt, an dem sich Kirche seiner Ansicht nach verändern müsse, formulierte Meister allerdings sehr deutlich: Die Staatsähnlichkeit, die sich die verfasste Kirche noch leiste, könne es künftig nicht mehr geben. Gemeint sind damit zum einen die ausgeprägten Verwaltungsstrukturen, zum anderen die Arbeitsweise der Kirche,die ihre eigene Reform durch Kirchengesetze vorantreibe. „Es gibt keine zweite zivilgesellschaftliche Institution, die eine solche Staatsanalogie betreibt“, sagte Meister. (nkw)
Heere: Die EU‑Schuldenregeln sind viel besserals die für die deutsche Schuldenbremse
Niedersachsens Finanzminister Gerald Heere (Grüne) hat seine Sympathie für die EUFiskalregeln bekundet ‑ und dies mit einer Kritik an den in Deutschland festgeschriebenen Vorgaben derSchuldenbremse verknüpft. Im Haushaltsausschuss des Landtags erklärte der Minister kürzlich,die Vorgaben der EU für die Staatsverschuldung seien viel geeigneter für die zukünftige Entwicklung des Landes als die Bestimmungen im Grundgesetz und in der Landesverfassung. Gleichwohlwerde die Landesregierung diese Vorschriften natürlich einhalten. Das befreie ihn aber nicht davon, seine Meinung dazu öentlich zu äußern. Ende vergangenen Jahres war unter den Finanzministern der Länder geprüft worden, ob eine Reform der Schuldenbremse-Vorschriften noch vorder Bundestagswahl möglich wäre – über eine Grundgesetzänderung, bei der SPD, Union undGrüne zusammenwirken. Der Erfolg der Bemühungen blieb indes aus – eine Reform scheint jetzterst nach der Bundestagswahl möglich, wobei es in der CDU und CSU viele Stimmen dafür gibt.
Die 2011 im Grundgesetz und 2020 in der Landesverfassung eingeführte „Schuldenbremse“ sieht vor,dass der Bund jährlich neue Kredite in Höhe von 0,35Prozent des Bruttoinlandsproduktes aufnehmen darf.Für die Bundesländer ist ein solcher Spielraum überhaupt nicht vorgesehen ‑ sie müssen ihre Einnahmenund Ausgaben vollständig ausgleichen. Allerdings geltenzwei Ausnahmen. Bei einer konjunkturellen Schwäche,die auf einer mangelnden Auslastung der Volkswirtschaft beruht, sind Kreditaufnahmen erlaubt. So nutzt es Heere im Übrigen auch für den Landesetat 2025, nämlich im Umfang von rund 600 Millionen Euro. Sobald aber die Konjunktur wiederbrummt und sogar kräftige Steuermehreinnahmen ießen, die über das normale Maß des Wirtschaftswachstums hinausgehen, müssen diese Überschüsse als Rücklage zur Seite gelegt werdenfür den Fall einer späteren Konjunkturschwäche in den Folgejahren. Dieses „atmende System“ istim Grundgesetz und auch in der Landesverfassung festgeschrieben. Die zweite Ausnahme von derSchuldenbremse betrit Naturkatastrophen und ungewöhnliche Situationen, „die sich der Kontrolle des Staates entziehen“. Auch dann sind Kreditaufnahmen erlaubt. Sie müssen aber mit einem Tilgungsplan verbunden werden, der sich nicht über zu lange Zeit hinstrecken darf. Die Corona-Krise etwa hatte derartige Not-Kreditaufnahmen zur Folge.
Die EU-Fiskalregeln sind großzügiger mit Blick auferlaubte Verschuldungen ‑ wobei dort alle Ebenen, alsoBund, Länder und Sozialversicherungen, zusammengefasst sind. Demnach darf die Neuverschuldung jährlich3 Prozent des BIP nicht übersteigen (nicht nur 0,35 Prozent, wie in der Schuldenbremse nur für den Bund vorgesehen ist). Außerdem darf der gesamte Altschuldenbestand eines Staates 60 Prozent des BIP nicht übersteigen. Die Bundesrepublik liegt gegenwärtig unterhalbvon 60 Prozent. Heere erklärte, mit der jüngst festgelegten Modikation auf EU-Ebene werde dieObergrenze der Neuverschuldung nur noch dann verfügt, wenn der Schuldenstand eines Landesdie 60-Prozent-Marke überragt. Auf Deutschland angewandt, würde dies also beim gegenwärtigenSchuldenstand eine Ausweitung der Nettokreditaufnahme gestatten ‑ wenn denn die Schuldenbremse im Grundgesetz und in der Landesverfassung nicht wäre.
Heeres Werben für die Übertragung der EU-Regeln auf das Bundes- und Landesrecht ist sehrweitgehend. Andere Finanzminister und -senatoren (wie etwa der SPD-Mann Andreas Dressel ausHamburg) hatten sich öentlich für eine sanftere Variante der Schuldenbremsen-Reform ausgesprochen, nämlich dafür, den Bundesländern eine begrenzte Nettokreditaufnahme in Höhe von0,15 Prozent des BIP zu gestatten. Widerspruch erfährt Heere für seine Vorstellungen auch imLandtag in Hannover. In der Sitzung des Haushaltsausschusses erntete er Kritik von seinem Amtsvorgänger, dem heutigen CDU-Landtagsabgeordneten Reinhold Hilbers. Die rot-grünen Wirtschaftsprognosen seien viel zu optimistisch ‑ und damit auch die Annahme, mit mehr Wachstumdie höheren Ausgaben und den Schuldendienst decken zu können. „Was Sie vorschlagen, ist eineMaximierung der Möglichkeiten zur Verschuldung ‑ und das ist der falsche Weg“, betonte Hilbers.Deutschland sei in Europa bisher „der Bonitätsanker“ gewesen, und das liege vor allem an derHaushaltsdisziplin. Dies sei auch der Grund dafür, warum deutsche Wertpapiere so begehrt seien.(kw)
Warum der dominante Verteidigungsministerfür manche in der SPD ein Problem darstellt
Der neue Kanzlerkandidat der Sozialdemokraten ist Boris Pistorius nicht geworden. Es gab einekurze Phase im November vergangenen Jahres, da schien ein solcher Schritt möglich zu sein. Dochdann wurde die aufkeimende und durch seine eigenen Äußerungen angefachte Debatte rasch wieder erstickt, Pistorius ordnete sich unter – und nun setzen die Sozialdemokraten voll und ganz aufOlaf Scholz, den amtierenden Kanzler, als ihren Spitzenmann. Das wurde auch deutlich bei derAufstellung der SPD-Landesliste zur Bundestagswahl am 4. Januar in Hannover. Siegesgewissheit,Beifall und Geschlossenheit – so präsentierten sich die 120 sozialdemokratischen Delegierten beidieser Gelegenheit im hannoverschen Hotel „Wienecke”. Der SPD-Landesvorsitzende Stephan Weilverkündete: „Wir starten jetzt eine atemberaubende Aufholjagd.” Lars Klingbeil, SPD-Chef undSpitzenkandidat der Niedersachsen-SPD, wies auf die Erfolge der Ampel-Regierung hin, etwa aufdie Anhebung des Mindestlohns. „Wir lassen uns das nicht kleinreden!” In den vergangenen dreiJahren habe auch viel Streit geherrscht in der Koalition – und das habe daran gelegen, dass einPartner, die FDP mit ihrem Vorsitzenden Christian Lindner, „den Streit gewollt hat”. Und beide, Weilund Klingbeil, waren voll des Lobes für die Arbeit des Bundesverteidigungsministers.
Nun steht Pistorius zwar nicht auf Position eins der niedersächsischen Sozialdemokraten, obwohl manche das wegen seiner bundesweit herausragenden Popularitätswerte wohl erwartet hatten. Er geht auf Rang drei. Position eins geht an den Parteivorsitzenden Klingbeil aus dem Heidekreis, einen Vertreter des kleinen Parteibezirks Nord-Niedersachsen. Wie es heißt, war diese Personalie „kein großes Diskussionsthema” in den internen Gremien. Niemand habe sich dem Anspruch des Parteichefs widersetzen wollen. Es galt oenbar eine Verabredung, nach der keinerKlingbeil in die Quere kommt, auch kein Bundesminister. Der 46-Jährige stärkt damit auch seinePosition in einer für die politische Neuaufstellung entscheidenden Phase. Wenn die SPD nach derBundestagswahl ihre personelle Konstellation neu bildet, gleich ob als Regierungs- oder Oppositionspartei, dann hat Klingbeil dabei großes Gewicht. Nicht wenige halten ihn für die kommende„starke Figur” der deutschen Sozialdemokraten. Dem steht zumindest in seinem heimischen Landesverband Niedersachsen nichts im Wege, wie diese Nominierung für die Spitzenposition wiedereinmal belegt. Es gibt sogar Stimmen, die Klingbeil als möglichen Nachfolger von MinisterpräsidentStephan Weil sehen, sollte dieser im Jahr 2025 oder 2026 vorzeitig in den Ruhestand gehen. Weilerklärte in der Aufstellungsversammlung: „Wer ist die Integrationsgur der deutschen Sozialdemokratie? Da gibt es für mich nur eine Antwort: Lars Klingbeil.”
Da die SPD-Landesliste zur Bundestagswahl zwingend paritätisch aufgestellt wird, folgt nachKlingbeil auf Rang zwei eine Frau – es wird die Parlamentarische Staatssekretärin des Verteidigungsministeriums, Siemtje Möller aus dem Kreis Friesland. Auf Rang drei kommt dann Pistorius.Er stammt zwar aus Osnabrück, also wie Möller aus dem Parteibezirk Weser-Ems. Da Pistoriusaber nach dem Hin und Her um die Wiederkandidatur des Osnabrücker SPD-Bundestagsabgeordneten Manuel Gava die heimatlichen Gelde verlassen und eine neue politische Hausmacht in derLandeshauptstadt Hannover gefunden hat, zählt er jetzt zum Parteibezirk Hannover, genauer nochzum SPD-Unterbezirk der Region Hannover. Er tritt zwar in einem für die SPD bundesweit sichers ten Wahlkreise an, nämlich Hannover-Stadt-Süd, abergleichwohl nimmt der Bundesverteidigungsministerauch Position drei auf der SPD-Landesliste ein. Nach Informationen des Politikjournals Rundblick hatte es nocheine Klärung zwischen Pistorius und Bundesarbeitsminister Hubertus Heil gegeben, wer von den beiden Bundesministern denn Rang drei bekommen soll. Immerhingehört Heil dem Bundeskabinett schon länger an – under war bei der Bundestagswahl 2021 der niedersächsische Spitzenkandidat der Sozialdemokraten. Die beiden verständigten sich dann aber auf Pistorius, Heil belegt dann erst Platz fünf auf der Landesliste als erster Kandidat des SPD-BezirksBraunschweig.
Dass die herausragende Position von Pistorius aufder SPD-Landesliste nun in der SPD nur begrüßt wird,kann indes nicht behauptet werden. Es gibt vereinzelteStimmen, von denen sich keiner öentlich äußern will,die sich eine andere Lösung gewünscht hätten. Pistorius, sagen diese, hätte bei dem sicheren WahlkreisHannover-Stadt-Süd ganz auf einen vorderen Listenplatz verzichten können. Damit wären die Chancen fürandere prolierte SPD-Politiker aus dem SPD-Unterbezirk Region Hannover größer gewesen. Denn die gute Platzierung des Bundesverteidigungsministers hat nun eher unangenehme Folgen für andere Politiker. Der SPD-Bezirksvorsitzende des größten Parteibezirks Hannover, Matthias Miersch, war 2021 noch auf Platz drei der Landesliste für dieBundestagswahl. Das war ein dem Parteiamt angemessener Status. Miersch rutscht jetzt auf Position sieben. Immerhin ist das für Miersch auf jeden Fall noch ein sicherer Platz. Anders sieht es fürAdis Ahmetovic aus, den jungen Vorsitzenden des SPD-Stadtverbandes Hannover. Er muss sich mitListenplatz 25 begnügen – einer Position, die für den Wahlerfolg nicht reichen dürfte. Für die Wiederwahl von Ahmetovic in den Bundestag kommt es damit entscheidend darauf an, dass er denWahlkreis Hannover-Stadt-Nord gewinnt, seine dortigen Gegenkandidaten sind Michaela Menschel(CDU) und Timon Dzienus (Grüne). Nach den aktuellen bundesweiten Umfragen, die für die Sozialdemokraten nicht gut aussehen, ist die Wahrscheinlichkeit eines CDU-Erfolges in dem Wahlkreisgrößer als die, dass Ahmetovic ihn wird verteidigen können. Aber in den Umfragen ist bis zumWahltag ja noch viel Bewegung möglich. Es kann also die These gewagt werden, dass die gute Positionierung von Pistorius als Neu-Hannoveraner auf der SPD-Landesliste zur Bundestagswahl dieStellung von Miersch und Ahmetovic schwächt – die von Miersch zumindest in der äußeren Optikder Liste und die von Ahmetovic möglicherweise gar existenzbedrohend.
Diese Fragen werden in der Aufstellungsversammlung nicht erörtert – sie waren vorher schon ininternen Runden besprochen worden. Dort wurden auch Absicherungen besprochen – für Bundestagskandidaten, die in ihren Wahlkreisen womöglich gefährdet sind. Das gilt etwa für den SPD-Bezirkschef von Weser-Ems, Dennis Rohde aus Oldenburg, oder auch für Jakob Blankenburg ausLüchow-Dannenberg. Rohde erhält Rang neun, der als sicher gilt, Blankenburg Rang 13, der vielleicht noch sicher sein könnte. Die Braunschweiger und die Weser-Ems-Leute, heißt es, können mitDie Braunschweiger SPD-Delegierten.Foto: WallbaumDie Delegierten aus Weser-Ems.Foto: Wallbaum der Liste zufrieden sein – die Nord-Niedersachsen sowieso. Nur für die aus dem großen Parteibezirk Hannover, der von Harburg bis Göttingen reicht, gilt das wohlweniger.
Im Mittelpunkt der Aufstellungsversammlung stehteine kämpferische Rede von Stephan Weil. Er gipfelt ineinem massiven Angri auf den Kanzlerkandidaten derUnion. Deutschland brauche „einen Kanzler, der dieNerven zusammenhält, klar und entschlossen führenkann. Das ist Friedrich Merz nicht, das Kanzleramt ist kein Ausbildungsbetrieb”, rief Weil den SPDDelegierten zu und erntete dafür den stärksten Beifall des Tages. Am besten, sagte er, fahreDeutschland „mit Olaf Scholz als Kanzler in den nächsten Jahren”. Ausdrücklich lobte Weil seineParteifreunde und ermutigte vor allem jene Genossen, die in unsicheren Wahlkreisen antreten. Erwerde diese besuchen und „sich dort besonders lange aufhalten”. Zwei Pannen passierten Weil inseiner Rede, als er auf Matthias Miersch zu sprechen kommt. Zunächst erwähnte der SPD-Landesvorsitzende die vier SPD-Bezirksvorsitzenden, die sich im Vorfeld auf eine gute Landesliste verständigt hätten – und nannte dabei SPD-Landtagsfraktionschef Grant Hendrik Tonne für Hannover.Tonne ist aber nur Vize-Bezirksvorsitzender, den Vorsitz hat immer noch Miersch inne. Wenig später dann rutschte Weil noch heraus, dass Miersch „Bundesgeschäftsführer” der SPD sei. In Wirklichkeit aber rangiert er eine Stufe höher, als Generalsekretär.
Niedersachsens SPD-Spitzenkandidat Klingbeil hielt in seiner Rede dem US-Milliardär ElonMusk vor, dass er die betriebliche Mitbestimmung und den Rechtsstaat hasse, da er „in diesemSystem nichts aushandeln kann”. Die SPD müsse diese antidemokratische Ideologie oenlegen unddie darin ausgedrückte „Staatsverachtung” deutlich machen. Wie Weil arbeitete sich auch Klingbeilam CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz ab. Dieser habe nie aufgehört zu sagen, dass die Besserverdienenden die Leistungskräfte der Gesellschaft seien – aber in Wahrheit seien das doch die Busfahrer, Verkäufer und Erzieherinnen. Wenn es um die Reformen in Deutschland geht, hätten CDUund CSU bisher immer wieder die ausgestreckte Hand der SPD ausgeschlagen. „Friedrich Merzmuss aufpassen, dass er nicht der berühmteste Totalverteidiger in diesem Land wird.” Die SPDkönne die Bundestagswahl gewinnen, weil viele Menschen „jetzt erst anfangen, sich mit demThema auseinanderzusetzen”. Derzeit fragten sich die Leute, wer der Richtige an der Spitze sei -Scholz oder Merz. Der CDU-Chef werde nächstes Jahr 70 und habe nicht einen Tag in seinem Leben Regierungsverantwortung gehabt. Es sei „ein sehr großes Wagnis”, Merz dieses hohe Amt anzuvertrauen. Nach dem Ende von Klingbeils Rede erhoben sich die Delegierten wie auf Knopfdruckvon ihren Plätzen und klatschten.
Einer fehlte als Redner bei diesem SPD-Termin, obwohl er doch irgendwie im Zentrum der Veranstaltung stand – Boris Pistorius. Wie Weil erklärte, sei er im Urlaub erkrankt. „Ich habe ihm gesagt, er soll sich lieber schonen und besser in den nächsten Wochen das Land rocken als jetzt dieSPD bei diesem Treen”, betonte der Ministerpräsident und bat die Versammlung „um einen donnernden Applaus für Boris”. Dann ertönte freundlicher Beifall.
Personen und Positionen
Imke Hennemann-Kreikenbohm, Verdi-Gewerkschaftssekretärin in Niedersachsen für die Feuerwehren, beklagt die zunehmende Gewalt gegen Einsatzkräfte der Feuerwehr und der Rettungsdienste. Das sei auch wieder in der diesjährigen Silvesternacht geschehen – beispielsweise inGarbsen und in Wunstorf in der Region Hannover. Verdi betont, dass es derzeit an Hilfsangebotenund an Unterstützung für die Mitarbeiter der Hilfsdienste mangelt, die oft ehrenamtlich im Einsatzsind. Zur Aufklärung könne es zudem wichtig sein, dass die Fahrzeuge der Feuerwehr und der Rettungsdienste mit Dashcams – also Kameras – ausgestattet sind. Ebenfalls könnten Bodycams, alsoKameras an den Helmen der Mitarbeiter, eine Unterstützung sein. Hier sei „der niedersächsischeGesetzgeber gefragt”, teilt die Verdi-Sprecherin mit. Aus den Reihen von CDU und AfD hatte es imvergangenen Jahr die Forderung gegeben, auch Feuerwehren und Rettungsdienste mit diesen Kameras auszustatten und dafür einen Passus in die entsprechenden Gesetze aufzunehmen. RotGrün hatte das jedoch abgelehnt, auch von den Verbänden der Hilfsorganisationen warenseinerzeit Vorbehalte geäußert worden.
Anke Pörksen, Regierungssprecherin, hat sich für eine harte und konsequente Bestrafung vonAngrien auf Rettungsdienste und Feuerwehrleute ausgesprochen. Nach den Ereignissen rund umdie Silvesternacht, bei der es auch in Niedersachsen wieder zu Angrien auf Polizisten und ehrenamtliche Helfer gekommen war, äußerte sich Pörksen in der Landespressekonferenz. Sie betonte,dass strafrechtliche Verschärfungen allein wenig nützen dürften, sofern es nicht auch in der Bevölkerung eine klare Ablehnung der Angrie auf Repräsentanten des Staates gibt. „Eine Chance haben wir nur, wenn es allgemein verpönt ist, die Arbeit von Rettungskräften zu behindern”, sagtePörksen. Nach Auskunft des niedersächsischen Justizministeriums hat es die geplante bundesweite Strafrechtsverschärfung nach den Silvesterkrawallen 2023/2024 bisher nicht einmal ins Bundeskabinett geschat. Das Bundesjustizministerium habe noch unter Leitung des damaligen Bundesministers Marco Buschmann (FDP) einen Referentenentwurf vorgelegt, der noch vom Kabinettbeschlossen worden war und auch im Bundesrat behandelt wurde. Für einen Gesetzesbeschlusshat es dann aber nicht mehr gereicht. Es geht in dem Entwurf darum, das Strafmaß für Widerstandgegen Vollstreckungsbeamte und für tätliche Angrie gegen diese Beamten zu erhöhen.
Raoul Roßmann, Geschäftsführer der Dirk Rossmann GmbH, unterstützt die hannoversche „Dr. Buhmann Schule” in ihrem Rechtsstreit gegen das Land Niedersachsen um eine angemessene nanzielle Unterstützung von Schulen in privater Trägerschaft. Als neue Gesellschafterin des gemeinnützigen Bildungsträgers willdie Drogeriekette bei der Zwischennanzierung der Prozesskosten und der bislang nicht gedeckten Betriebskosten aushelfen. „Wir unterstützen die ‚Dr. BuhmannSchule‘ bis zur Einführung einer angemessenen Finanzhilfe mit 3,2 Millionen Euro bis 2030“, sagteRoßmann. Die „Dr. Buhmann Schule” hatte im November 2022 zusammen mit rund 30 weiterenfreien Schulen eine Klage gegen die aus ihrer Sicht nicht verfassungskonformen Finanzhilfen eingelegt.
Patrick Wendeler, Europa-Chef des Öl- und Gaskonzerns BP, hat den Baustart für das Wassersto-Großprojekt „Lingen Green Hydrogen” für das Jahr2025 angekündigt. Die Anlage soll neben der BP-Ra-nerie in Lingen (Kreis Emsland) entstehen und jährlichbis zu 11.000 Tonnen grünen Wassersto herstellen.Die Inbetriebnahme der 100-Megawatt-Anlage ist 2027vorgesehen. Durch einen Direktanschluss ans Wasserstokernnetz will BP den dort entstandenen grünenWassersto den konzerneigenen Ranerien sowie den Industriekunden in der Region anbieten.Den dafür nötigen Ökostrom möchte das Unternehmen über ein Power Purchase Agreement (PPA)von Oshore-Windkraftanlagen in der Nordsee beziehen. Die Anlage zählt zu den wichtigen Projekten, die im gemeinsamem europäischem Interesse stehen. Sie erhält eine staatliche Förderung von125 Millionen Euro, wobei der Anteil des Landes Niedersachsen bei rund 37,5 Millionen Euro liegt.„Die Unterstützung des Bundes und des Landes Niedersachsen als Teil der IPCEI-Förderung hatmaßgeblich zur Weiterführung dieses Projekts beigetragen“, sagte Wendeler. Über die Gesamtkosten machte BP keine Angaben.