Landkreise fordern bessere Koordination und Freiräume für das Gelingen der Integration von Flüchtlingen - EU-Kommissar Oettinger Gast der Landkreisversammlung
Bildung und berufliche Perspektiven sind nach Auffassung der nieder-sächsischen Landkreise und der Region Hannover der Schlüssel für die Integration der Flüchtlinge. Dies haben die Verwaltungschefs sowie die ehrenamtlichen Vertreter der Kreistage der 37 Landkreise und der Regi-on Hannover in einer „Papenburger Erklärung“ anlässlich der 76. Landkreisversammlung des Niedersächsischen Landkreistages (NLT) im Landkreis Emsland zum Ausdruck gebracht. Der NLT geht von aktuell bis zu 70.000 erwerbsfähigen Menschen mit Bleibeperspektive in Niedersachsen aus.
„Für diese Menschen müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, dass sie nicht dauerhaft auf staatliche Transferleistungen angewiesen bleiben. Angesichts der anderen kulturellen, wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe ist das eine anspruchsvolle Aufgabe, die Jahre dauern wird. Wir müssen dabei alle mitnehmen, nicht nur diejenigen mit einer beruflichen Vorbildung. Gerade Frauen, Kindern und Jugendlichen, die bisher oftmals nur einen eingeschränkten oder keinen Bildungszugang hatten, gilt unser besonderes Augenmerk“, erklärte NLT-Präsident Landrat Klaus Wiswe vor über 200 Gästen aus Politik, Verwaltung und Gesellschaft.
Der NLT fordert, das unkoordinierte Nebeneinander von Sprachkursangeboten verschiedenster Behörden zu beenden. Die Sprach- und Integrationsangebote sollten künftig durch die Landkreise und die Region Hannover abgestimmt werden, die die ankommenden Menschen seit dem ersten Tag kennen und sie in vielfältiger Weise begleiten. „Bisher engagieren sich viele, aber es fehlt an Koordination. Unser Angebot an das Land ist, einen verlässlichen Integrationspfad einschließlich des Spracherwerbs zu organisieren, der den individuellen Fähigkeiten jedes Einzelnen Rechnung trägt. Integration ist aber keine Einbahnstraße. Ohne Anstrengungen der Betroffenen, ohne Akzeptanz unserer freiheitlichen Werte, ohne Akzeptanz der Gleichberechtigung von Mann und Frau kann es keine erfolgreiche Integration geben. Fördern und Fordern, das gilt auch hier“, verdeutlichte Wiswe.
Der NLT sieht dringenden Handlungsbedarf zum Schaffen bezahlbaren Wohnraums, nicht nur für die Flüchtlinge. Auch müssten die Instrumente des SGB II (Grundsicherung für Arbeitsuchende) den neuen Herausforderungen angepasst werden. Die Jobcenter müssten flexibler reagieren und Maßnahmen längerfristig ausrichten. „Wenn eine schnelle Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt nicht gelingt, verdient ein zweiter Arbeitsmarkt allemal den Vorzug gegenüber staatlichen Transferleistungen“, betonte Wiswe. „Und wir dürfen die Menschen in unserer Gesellschaft nicht vergessen, die auch auf Unterstützung angewiesen sind, die sich ebenfalls keine teure Wohnung leisten können. Ein Wettrennen geringverdienender Einheimischer mit schutzsuchenden Flüchtlinge um Wohnungen, um Arbeitsplätze, um staatliche Leistungen wäre Gift für den sozialen Frieden und für die Akzeptanz jeglicher Flüchtlingshilfe.“
In Anwesenheit von EU-Kommissar Günther H. Oettinger, Landtagspräsident Bernd Busemann, der Ministerinnen und Minister Olaf Lies, Antje Niewisch-Lennartz und Cornelia Rundt sowie den Spitzen der Landtagsfraktionen unterstrich Wiswe ausdrücklich den Anspruch der Landkreise, die Infrastruktur des ländlichen Raumes auszubauen und zukunftsfest aufzustellen. Hierfür bedürfe es hinreichender finanzieller Ressourcen. Die Flüchtlingskrise binde viele Kräfte, dürfe aber nicht auch noch finanziell die Handlungsfähigkeit der Kommunen einengen. Der NLT erwarte daher eine vollständige Übernahme der Kosten der Unterkunft für anerkannte Asylbewerber durch den Bund und eine Beteiligung der Kommunen an den Mehreinnahmen aus der bevorstehenden Neuregelung des Bund-Länder-Finanzausgleiches nach geltendem Recht.
Fortschritte erhoffe sich der kommunale Spitzenverband bei den Gesprächen mit der Landesregierung zur Verantwortung für die Schulsozialarbeit sowie der Finanzierung der Schülerbeförderung und des öffentlichen Nahverkehrs in der Fläche. Für das Gebot gleichwertiger Lebensverhältnisse komme einer zeitnahen Erschließung des ländlichen Raums mit hochwertiger Breitbandversorgung und einer modernen Krankenhausinfrastruktur hohe Bedeutung zu. Wiswe forderte die Landesregierung auf, das Jahr 2016 für einen Modernisierungsschub in der stationären Krankenversorgung zu nutzen und den Sanierungsstau in Niedersachsen jedenfalls ansatzweise abzutragen.