Landkreise fordern schnellere Asylverfahren und finanzielle Entlastung
„Die niedersächsischen Landkreise und die Region Hannover stehen uneingeschränkt und mit voller Überzeugung hinter dem Grundrecht auf Asyl. Es ist ein Menschenrecht nicht nur für gute Tage, sondern sein Wert zeigt sich gerade in Krisenzeiten wie diesen. Die Bewältigung der dramatischen Folgen von Krieg und Vertreibung in vielen Teilen der Welt kann aber nicht allein Aufgabe der deutschen Kommunen sein. Wir benötigen daher Änderungen auf allen staatlichen Ebenen, von der EU über den Bund bis zum Land Niedersachsen“, erklärte der Präsident des Niedersächsischen Landkreistages (NLT), der Celler Landrat Klaus Wiswe, anlässlich der 75. Landkreisversammlung des kommunalen Spitzenverbandes in Bad Nenndorf, Landkreis Schaumburg.
Die Flüchtlings- und Asylpolitik stand im Mittelpunkt der öffentlichen Landkreisversammlung, zu der Wiswe mehr als 220 Vertreter der Politik, der Verwaltung und des öffentlichen Lebens begrüßte, darunter Landtagspräsident Bernd Busemann, Ministerpräsident Stephan Weil sowie die Ministerin Cornelia Rundt und Minister Peter-Jürgen Schneider.
Im internen Teil der Landkreisversammlung hatten die Delegierten der 37 Landkreise und der Region Hannover in einer Bad Nenndorfer Erklärung für eine weltoffene und tolerante Gesellschaft geworben. Eine Differenzierung zwischen Asyl und Zuwanderung sei geboten. Wiswe mahnte aber nachdrücklich Änderungen auch in der niedersächsischen Asylpolitik an. Für vordringlich erachtete er es, zu einem nach-vollziehbaren und transparenten Aufnahmeverfahren zurückzufinden. „Dies setzt einen zügigen und konsequenten Ausbau der Erstaufnah-mekapazitäten des Landes voraus. Es ist eine verkehrte Welt, wenn die Erstaufnahmeeinrichtungen die Flüchtlinge nur noch durchvertei¬len, die Kommunen aber mangels Alternativen Sammelunterkünfte für die Unterbringung bauen müssen.“ Der NLT unterstützt den Kurs von Innenminister Boris Pistorius, sich auf diejenigen Asylbewerber zu konzentrieren, die eine realistische Chance im Asylverfahren haben. „Diese brauchen unsere Unterstützung noch schneller und umfassender als dies zurzeit geschieht. Wir haben Defizite bei der Vermittlung der Kenntnisse der deutschen Sprache, der gesundheitlichen und sozialen Betreuung sowie der schnellen beruflichen Integration dieser Menschen.“ Wiswe forderte, Westbalkan-Flüchtlinge möglichst gar nicht erst auf die Kommunen zu verteilen. Auch die Praxis der Rückführung abgelehnter Asylbewerber binde daher in erheblichem Maße Ressourcen. Die niedersächsische Erlasslage gehört daher nach Auffassung des NLT auf den Prüfstand.
Nachhaltig forderte Wiswe vom Land Niedersachsen, die Kommunen nicht mit den finanziellen Folgen der Flüchtlingswelle allein zu lassen. Werde die Kostenpauschale des Landes nicht auf deutlich über 10.000 Euro angehoben, müssten die Landkreise, die Region Hannover und die kreisfreien Städte in diesem Jahr 120 bis 200 Millionen Euro aus eigenen Mitteln zulasten freiwilliger Aufgaben oder auf Kredit finanziert für diese Aufgaben aufbringen. Dies sei nicht akzeptabel und gefährde auch den großen Rückhalt, den die niedersächsische Willkommenskultur für die Flüchtlinge in breiten Teilen der Bevölkerung genieße.
Positiv würdigte der Präsident des NLT in seiner Ansprache die mit der Landesregierung erzielte Übereinkunft zur Abgeltung der Kosten für die Umsetzung der Inklusion in der Schule. Ein großes Pro¬blem für die Landkreise, Städte und Gemeinden bilde die Fortführung der Schulso-zialarbeit. Hier dränge die Zeit, wolle man noch im ersten Halbjahr 2015 wie verabredet zu Ergebnissen kommen.
Wiswe mahnte Dialog mit und Vertrauen in die kommunale Ebene an. Bei der Übertragung von Aufgaben der Antibiotika-Minimierung auf den Höfen an das zentrale Landesamt in Oldenburg, bei der Vorbereitung des Windenergieerlasses und bei der Novellierung des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes sei dies nicht in allen Punkten gewährleistet.
Die Aufgabe der niedersächsischen Landkreise hätten sich in den ver-gangenen Jahrzehnten deutlich gewandelt. Die Bürgerinnen und Bürger erwarteten auch im kreisangehörigen Raum ein qualitativ gleichwertiges Angebot an wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Kompetenz wie in den städtischen Zentren, so Wiswe. Dies setze zunächst eine angemessene Finanzausstattung voraus. In diesem Zusammenhang unterstützte Wiswe die Forderung des Präsidenten des Deutschen Landkreistages, Reinhard Sager, die kommunale Ebene spätestens ab dem Jahr 2018 um weitere fünf Milliarden Euro zu entlasten. Das Geld müsse in den Haushalten der Gemeinden, Städte und Landkreise tatsächlich ankommen. Wiswe begrüßte die durch den Bund angekündigte Investitionsinitiative zur Förderung finanzschwacher Kommunen. Er erinnerte an die Erfolgsgeschichte der Umsetzung des sogenannten Konjunkturpaketes II in Niedersachsen und warb für einen möglichst unbürokratischen Weg der Umsetzung.
Der NLT-Präsident unterstrich die Bereitschaft der Landkreise und der Region Hannover, Verantwortung für die Gestaltung des ländlichen Raumes zu übernehmen. Bedeutsamstes Beispiel hierfür werde sein, ob es gelinge, auch in den ländlichen Gebieten zeitnah den Ausbau des schnellen Internets zu gewährleisten. Hierzu benötigten die Landkreise Klarheit über die rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen der Förderung.
Schließlich mahnte Wiswe eine umfassende Beteiligung der kommunalen Spitzenverbände bereits im Vorfeld der Einsetzung einer im Landtag diskutierten Enquete-Kommission zu zukunftsfähigen kommunalen Strukturen in Südost-Niedersachsen an. In weiten Teilen habe man insoweit keine Daten- oder Erkenntnisdefizite, sondern allenfalls Akzeptanz- und Umsetzungsprobleme.